ISO 20400:2017 und das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz - Widerspruch oder sinnvolle Ergänzung?
Seit etwa 40 Jahren wird ein Großteil der weltweit produzierten Güter in globalen Wertschöpfungsketten organisiert. Damit ermöglicht werden Just-in-time-Produktion, Single-Sourcing-Ansätze und globales Outsourcing, womit Preisvorteile erzielt und Kosten reduziert werden können. Doch gehen auch erhebliche Risiken mit einer solchen Beschaffungsstrategie einher. 2013 führte der Tod von 1.136 Menschen beim Zusammensturz des bangladeschischen Fabrikkomplexes Rana Plaza, zu einem starken Imageverlust ganzer Mode-Marken. Zeitgleich wurde das Interesse der Endkonsument:innen an transparenten Lieferketten in der Branche gestärkt. Die weltweite Corona-Epidemie verdeutlicht seit zwei Jahren die Fragilität komplexer Liefernetzwerke und dass damit verbundene Risiken lange unberücksichtigt blieben. Dies zeigt, dass Nachhaltigkeit in der Beschaffung nicht nur von immer mehr Konsument:innen gefordert wird, sondern auch für die Risikominimierung in Lieferketten eine essentielle Rolle spielen sollte. Nachhaltigkeit kann hierbei im Sinne der drei Dimensionen Soziales, Ökologie und Ökonomie verstanden werden. Im Konkreten definiert sich damit eine nachhaltige Beschaffung als eine Beschaffung, „welche im Hinblick auf den gesamten Lebensweg die positivsten umweltbezogenen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen hat“ (DIN ISO 20400: 2021-02, S. 22).
Politisch widmete man sich dem Thema verstärkt seit 2014 mit der Initiierung des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP). Dieser setzte zunächst auf die Freiwilligkeit von Unternehmen. Als 2020 das Monitoring des NAP abgeschlossen wurde, musste jedoch festgestellt werden, dass nur 17 bis 19 Prozent der Unternehmen die Anforderungen an die menschenrechtliche Sorgfalt angemessen umsetzen. Der festgelegte Zielwert lag bei 50 Prozent. Als Reaktion folgte im Sommer 2021 das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG).
Neben den verschiedenen Stakeholder-Anforderungen und intrinsischen Motivatoren für eine nachhaltige Beschaffung, besteht somit für Unternehmen mit über 3000 Mitarbeitenden ab 2023 (bzw. mit über 1000 Mitarbeitenden ab 2024) die Pflicht, ihrer menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflicht nachzukommen. Auf europäischer Ebene wurde eine Gesetzesinitiative zu der Thematik beschlossen. Jedoch liegt nach aktuellem Stand noch kein Gesetzesentwurf vor, womit ein einheitlicher europäischer Standard noch nicht absehbar ist.
Insbesondere die Schaffung von internationalen Standards ist ein Wunsch der von vielen befragten Unternehmen im Rahmen des NAP-Monitorings genannt wurde. Wer sich auf eine international gültige Leitlinie zur Etablierung eines nachhaltigen Beschaffungsmanagements beziehen möchte, wird abseits der rechtlichen Regularien in der Welt der ISO-Normen fündig. Die ISO 20400 wurde 2017 veröffentlicht und im Jahr 2021 vom deutschen Normgremium als DIN ISO herausgegeben. Definiert wird ein Leitfaden für Organisationen jeder Art, um den Einbezug der Nachhaltigkeit in die Beschaffung zu stärken. Bewusst wird hierbei das Thema Nachhaltigkeit nicht eingegrenzt, womit die Bestimmung von relevanten Themen den Organisationen obliegt.
Betrachtet man das Thema der nachhaltigen Beschaffung nun nach der Verabschiedung des LkSG, zeichnet sich ein Spannungsfeld zwischen Freiwilligkeit und gesetzlichem Zwang ab. Doch ergibt sich hieraus wirklich ein Zielkonflikt oder kann nicht vielmehr ein befruchtendes Zusammenspiel entstehen? Konkretisiert werden soll diese Frage an Hand des Vergleichs zwischen den Vorgaben aus dem LkSG und den Handlungsempfehlungen der DIN ISO 20400.
Legt man die Anforderungen der zwei Vorgaben-Werke nebeneinander, lassen sich viele Gemeinsamkeiten in der Gestaltung eines nachhaltigen Beschaffungssystems feststellen. Am offensichtlichsten ist die Implementierung eines kontinuierlichen Verbesserungsprozess in beiden Schriften. Definierte Prozesse und realisierte Tätigkeiten sollen regelmäßig auf den Prüfstand gestellt und auf ihre Wirksamkeit hin überwacht werden. In der untenstehenden Übersicht sind die Anforderungen aus der Norm mit denen des Gesetzes gegenübergestellt.
HLS | DIN ISO 20400 | LkSG |
Kontext |
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Führung
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Planung
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Unterstützung
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Betrieb
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Bewertung der Leistung
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Verbesserung
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Im direkten Vergleich wird deutlich, dass in der überwiegenden Mehrheit der Punkte die DIN ISO 20400 als Umsetzungshilfe für das LkSG genutzt werden kann. Dies scheint von besonderer Bedeutung, da zum einen viele direkt betroffene Unternehmen mit Fragezeichen vor der Umsetzung der neuen Gesetzgebung stehen und zum anderen indirekt betroffene Unternehmen (welche den Informations- und Handlungsdruck von ihren Kund:innen erhalten) sich bestens auf die neuen Herausforderungen vorbereiten können. Auch wenn die Norm nicht nach der High-Level-Structure für Managementsysteme aufgebaut ist, lässt sie sich problemlos in diese Systematik überführen. Somit kann die nachhaltige Beschaffung als ein Bestandteil eines integrierten Managementsystems etabliert werde. Aufwände in der Dokumentation und Definition neuer Prozesse zur Erfüllung der Gesetzesanforderungen werden damit minimiert.
Jedoch stehen auch potenzielle Zielkonflikte zwischen den beiden Schriften im Raum. Das LkSG fokussiert sich auf klar benannte menschenrechtliche und umweltbezogene Themen. Die DIN ISO 20400 hingegen öffnet den Blick für alle Bereiche der Nachhaltigkeit und empfiehlt nach eigenen Kriterien Wichtungen zu setzen. Würde man die Themen des Gesetzes dem Priorisierungs-Prozess der Norm entziehen, könnte dies zu einer überproportional berücksichtigt der Themen in der Risikobewertung führen. Dies wiederum würde eine Vernachlässigung anderer Nachhaltigkeitsaspekte bewirken (bspw. Klimaschutz, Ressourcenknappheit oder wirtschaftliche Entwicklung). Denkt man diese Problematik zu ende, könnte in einzelnen Fällen eine doppelte Berichterstattung oder Trennung der Bewertungssysteme notwendig werden.
Dieser Zielkonflikt lässt sich jedoch weitgehend auflösen, wenn man die nachhaltige Beschaffung als Möglichkeit der Erfüllung verschiedener Stakeholder-Anforderungen begreift. Damit würde neben der Rechtskonformität mit dem LkSG bspw. auch die Reduktion von Treibhausgasen in der Vor-Kette thematisiert, wenn Treibhausgasneutralität erreicht werden soll. Dieses Beispiel verdeutlicht die Notwendigkeit, die eigenen Stakeholder in der Gestaltung des Beschaffungssystems umfangreich zu berücksichtigen – so auch in Gesetz und Norm gefordert.
Aktuell bestehen in der EU-Kommission Bemühungen, eine europaweit einheitliche Regelung für die unternehmerische Sorgfaltspflicht zu treffen. Hiervon könnten auch mittelständische Unternehmen direkt betroffen sein. Des Weiteren ist eine leichte Veränderung im Katalog der zu berücksichtigen Kriterien zu erwarten. Auch wenn noch kein Gesetzesentwurf hierfür vorliegt, zeigt dies, dass zum einen auch der Mittelstand sich dem Thema frühzeitig zuwenden sollte, und zum anderen eine nachhaltiges Beschaffungssystem auf Veränderungen und eine gewisse Dynamik ausgerichtet sein muss. Hierfür bietet ein System nach der ISO 20400 gute Voraussetzungen.
Es lässt sich zusammenfassen, dass die Synergieeffekte zwischen ISO 20400 und dem LkSG überwiegen. Potentielle Zielkonflikte können durch eine ausführliche Stakeholder-Analyse und eine dynamische Gestaltung der Beschaffung im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses vermieden werden. Ein weiterer Vorteil der Einführung eines solchen Systems: Es bestehen Möglichkeiten, nachhaltige Beschaffungssysteme zertifizieren zu lassen.
In vielen Unternehmen spielte die Nachhaltigkeit in der Beschaffung in der Vergangenheit eine weitgehend untergeordnete Rolle. Durch unsere Erfahrungen in den Bereichen Umwelt-, Arbeitsschutz- und Energiemanagement, wissen wir, wie Nachhaltigkeitsrisiken zu bewerten sind. Auch bzgl. der Integration dieser Themen in Beschaffungsprozesse haben wir aus zahlreichen Projekten des Energiemanagements erprobte Lösungsansätze zur Hand. Des Weiteren haben wir durch die Pflege unseres Rechtskataster-Online einen permanenten Blick auf aktuelle rechtliche Veränderungen. Hierbei beraten wir Kunden, welche Vorschriften für sie relevant sein könnten und wie eine Konformität nachgewiesen werden kann.
Wir können Sie also nicht nur dabei unterstützen, einen Fahrplan zur Erreichung der Gesetzeskonformität gemäß LkSG zu erreichen, sondern bieten Ihnen auch die Hand, wenn es um den Aufbau eines ganzheitlich gedachten nachhaltigen Beschaffungsmanagements geht. Und wenn Sie mögen, gehen wir diesen Weg mit Ihnen bis zur Zertifizierung des Systems.