Vom Schlagwort zum Standard
Unternehmen verschiedenster Branchen kommunizieren, dass sie Produkte oder ihre eigenen Unternehmenstätigkeiten klimaneutral gestellt haben. Seit dem letzten Jahr kommt es jedoch vermehrt zu Klagen gegen solche Klimaneutralitätswerbung. Bislang waren insbesondere mangelnde Transparenz und Nachvollziehbarkeit in der Kommunikation Basis für Gerichtsentscheide. Nun sorgt eine Entscheidung des Landgericht Stuttgart zu einem Essigreiniger für Aufsehen. Gegenstand ist, dass durch den Hersteller in der Bilanzierung der Treibhausgase (THG) keine umfängliche Betrachtung des Produktlebenszyklus stattfand und entsprechend keine ausreichende Kompensation vorgenommen wurde.
Was bedeuten solche Entscheidungen für Unternehmen, die nicht nur aktiv werden und ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten, sondern auch dazu kommunizieren wollen? Zu Beginn sollte klargestellt werden, was sich hinter dem Begriff verbirgt und welche Zielstellung damit einhergeht.
Was bedeutet hier „neutral“?
Wird in diesem Kontext von Neutralität gesprochen, ist hiermit zumeist eine „schwache Neutralität“ gemeint, welche den Ausgleich von Emissionen auch außerhalb der Unternehmensgrenzen einbezieht. Dadurch wird die Berücksichtigung von Kompensationsprojekten ermöglicht. Um festzulegen, welche klimaschädigende bzw. klimaschützende Aktivitäten in der Bilanz zu berücksichtigen sind, sollten drei Begriffe voneinander abgegrenzt werden:
Klarzustellen ist also, dass zwar häufig von Klimaneutralität gesprochen wird, jedoch meist die THG-Neutralität gemeint ist. Neben diesem uneindeutigen Gebrauch von Begrifflichkeiten, zeigen sich weitere Herausforderungen, wenn man Neutralitätsaussagen miteinander vergleichen möchte. So können Umfang der Berücksichtigten Emissionsquellen (Werden vor- und nachgelagerte Emissionsquellen berücksichtigt?) und Qualität der Kompensationsprojekte (Ist die langfristige Bindung von Emissionen sichergestellt?) stark variieren. Dies gründet insbesondere in einer mangelnden Standardisierung. Wie die vergangenen Gerichtsurteile zeigen, sollten Neutralitäts-Begriffe daher mit Vorsicht verwendet werden.
Also gibt es keine Standardisierung von THG-Neutralität?
Für die Bilanzierung von Treibhausgasen bestehen etablierte Standards für Unternehmen (insb. ISO 14064-1 und GHG Protocol Corporate Standard) und Produkte (insb. ISO 14067 und GHG Protocol Product Standard). Diese geben uns jedoch nur vor, wie klimarelevante Gase korrekt erfasst und bilanziert werden. Welche Anforderungen mit einer „Neutralität“ einher gehen wird hier nicht geklärt.
Der einzige unabhängig prüfbare Standard hierfür ist die britische Norm PAS 2060. In dieser sind Maßnahmen und Anforderungen für Unternehmen zur Klimaneutralität von Produkten, Dienstleistungen oder des Unternehmens als Ganzes enthalten. Der Standard schreibt vor, dass für die THG-Bilanz Scope 1 (direkte Emissionen), Scope 2 (bezogene Energien) und Scope 3 (vor- und nachgelagerte Emissionen) zu ermitteln sind. Für Scope 3 sind alle Emissionsquellen zu berücksichtigen, die mehr als 1% der gesamten Bilanz ausmachen. Damit werden hohe Anforderungen an die Bilanzierung gestellt. Für Externe wird damit eine gute Transparenz zu den verursachten Emissionen sichergestellt. Für das Unternehmen selbst bedeutet dies jedoch einen mitunter erheblichen Aufwand für die Erstellung der THG-Bilanz.
Neben der Darstellung der Treibhausgase darf der Begriff der Neutralität nach PAS 2060 nur angewendet werden, wenn die verursachten Emissionen von Jahr zu Jahr durch die Umsetzung von Maßnahmen abnehmen. Nur im ersten Jahr ist eine vollständige Kompensation von Emissionen zulässig. Damit legt diese Norm nicht nur die Basis für eine eindeutige Begriffs-Verwendung, sondern bietet zeitgleich die Basis für ein strukturiertes Klimamanagement.
Bezüglich der Zertifizierung nach PAS 2060 ist zu beachten, dass der Zertifizierer vom United Kingdom Accreditation Service akkreditiert sein muss. Bisher wird dieser Standard in Deutschland erst von einzelnen Unternehmen angewendet.
Sind weitere Standards zu erwarten?
Ja! Zum Ende dieses Jahres soll das Normungsvorhaben ISO 14068 „Greenhouse gas management and climate change management and related activities – Carbon neutrality“ abgeschlossen werden. In Anlehnung an die PAS 2060 sollen hierbei die Begriffe, Grundsätze, Anforderungen und Prozesse zur Erreichung von Treibhausgasneutralität festgelegt werden. Zentraler Gegenstand der Norm wird die Forderung eines Klimaneutralitätsmanagementplans. Damit wird deutlich, dass auch hier Neutralität nicht als fixer Status verstanden wird, sondern eine fortlaufende Verbesserung einbezieht. Kompensiert werden sollen ausschließlich „unvermeidbare Emissionen“ gemäß dem Grundsatz „Vermeiden vor Reduzieren vor Kompensieren“. Voraussichtlich werden in der ISO 14068 7 Schritte festgelegt:
Im Aktuellen Entwurf der ISO 14068 befindet sich die Formulierung, dass alle Scope 3 Emissionen zu bilanzieren sind. Hier bleibt abzuwarten, welche Eingrenzung in der finalen Fassung stehen wird.
Was heißt das unterm Strich?
Getrieben durch Gerichtsurteile, sowie die Schaffung einer neuen ISO-Norm kann eine zunehmende Standardisierung der Anforderungen an „klimaneutrale“ Unternehmen oder Produkte erwartet werden. Abzuwarten bleibt hierbei jedoch, ob die ISO 14068 auch eine rechtliche Verbindlichkeit erhält.
Wer bereits jetzt eine unabhängig prüfbare Neutralitätsaussage treffen möchte, kann sich an der PAS 2060 orientieren. Eine wirksame Neutralität sollte mit der systematischen Umsetzung von Reduktionsmaßnahmen verbunden sein und nur die Treibhausgase kompensieren, welche „unvermeidbar“ sind.
Gerne informieren wir Sie mit unseren umfänglichen Erfahrungen aus dem Aufbau von Managementsystemen, wie Sie für Ihr Unternehmen ein wirksames Klimamanagement und damit das Ziel der Klimaneutralität erreichen können.